Das Hühnchen

blind und taub und lebensfroh

Taub und Blind

 

Wieso heißt ein Schweinchen

Hühnchen?


(verfasst von Gina Alt am 27.05.05)


Ganz einfach ;-) Aufgrund ihrer Behinderung stakste sie anfangs - vor allem hintenrum - mit ihrem überlangen roten Beinchen extrem hochbeinig durchs Gehege. Hinzu kamen ein paar vorwitzige lange Strähnen (Federn ;-) ) am Po und durch Aufregung blitzschnell hochrot anlaufende Ohren, die dann wie ein Hühnerkamm anmuteten. Der Name sollte erst Spaß sein, aber wie das halt so ist im Leben, aus Spaß wird oft bitterer Ernst ;-)

Jetzt ein paar Infos zu dem Grund ihrer Behinderung. Schimmel darf man wegen des Letalfaktors nur mit Nicht-Schimmeln verpaaren. Normalerweise versterben die Jungen aus einer solchen Verpaarung wegen vielfacher Behinderungen/Missbildungen schon vor oder kurz nach der Geburt. Insofern ist es ein Wunder, dass Hühnchen überhaupt lebt. Ich zitiere hier die Züchterin die Hühnchen aufgenommen hatte:

Hühnchens Eltern sind Geschwister aus einer Schimmelin gefallen. Ihr Vater ist ein Schecke, aber kein Weißschecke (also versteckter Schimmel im herkömmlichen Sinn).
Er ist ein aufgehelltes Schildpatt-Tier. Ich habe an ihm kein einziges weißes Haar gefunden, dass ist ja eigentlich der Erkennungsfaktor für einen (versteckten) Schimmel.
Bei schwarz-roten Tieren aus der Schimmelzucht geht man davon aus, dass sie keine Schimmel sind! Er ist es aber doch!!! Ich habe für meine Zucht, da ich ja auch zwei Schimmel habe, sofort eine Konsequenz gezogen: Niemals nehme ich ein Tier aus einer Schimmelverpaarung gefallen, in meine Schimmelzucht rein. Und sei es lackschwarz...
Das hat sich bisher zwar eh nie ergeben aber ich werde es niemals tun, und wenn die ganze Welt sagt, dass es doch niemals ein Schimmel sein könne !!!

 

Vor dem Fressnapf mit Jammerblick

Ich kann aber auch einfach nurum Juniorböller bettelnd gucken !

 

Aber, nachdem wir nun einige Wochen versucht haben Hühnchen in Ulrikes Gruppe zu integrieren, ist uns klar geworden, dass Hühnchen momentan in keine erwachsene Gruppe vollständig integriert werden kann.

 

Warum?

 

Meerschweinchen kommunizieren mittels Körpersprache und Drohlauten. Hühnchen kann jedoch nichts hören und nichts sehen. Jeder Kontakt mit anderen Schweinchen läuft immer nach dem gleichen Schema ab. Ein neben Hühnchen sitzendes Schweinchen kündigt z.B. mit dem Anheben des Kopfes oder Geklapper an, dass Hühnchen bitte weichen möge. Hühnchen jedoch merkt nichts davon, und hebt außerdem ständig den Kopf um Gerüche zu orten. Und schon ist es zu spät. Ihr Nichtweichen und Kopfheben wird als Frechheit empfunden (zu Recht!) und sie wird gezwickt. Und dann geht es richtig los. Hühnchen erschrickt und stiebt in die nächstbeste Richtung davon.
Natürlich rennt sie straight on in das nächste Schwein, welches seinerseits ihr wiederum mit einem Zwicker klarmachen will, dass das so aber nicht geht. Und wieder springt sie davon, und wieder rennt sie in ein zufällig im Weg sitzendes Schwein, welches dieses Anrennen ebenfalls als Frechheit empfindet, und Hühnchen ebenfalls adäquat mittels Zwicker erziehen will. So fliegt Hühnchen dann letztendlich wie eine Flipperkugel im Gehege rum. Die ganze Gruppe wird dadurch dann völlig hektisch, jetzt zicken sich alle an, und wer sich nicht aus dem Staub macht bezieht Keile.

 

Meist trifft es dann Hühnchen, denn sie weiß ja mittlerweile nicht mal mehr wo sie ist, geschweige denn, wo sie hinrennen müsste, um nicht wieder in ein Schwein zu rennen. Ein Ende hat dieses traurige Schauspiel erst, wenn Hühnchen es durch Zufall geschafft hat in eine Ecke zu gelangen, wo weit und breit kein Schwein ist.

 

vor dem Fressnapf in die gegend guckt

Tja, und da hilft es mir auch nix, dass ich auch so tun kann, als ob ich alles sähe ...

 

Jetzt gäbe es natürlich die Möglichkeit sie z.B. mit einem älteren Kastraten zu vergesellschaften, der sie i.d.R. nicht so anzicken wird wie andere Weibchen. Ulrikes Barney z.B. ist zwar sehr nett und umgänglich mit ihr, aber ein wirkliches Interesse hat er nicht. Soll man das dem Bock wirklich antun? Für ihn ist das wie Einzelhaft. Denn Hühnchen reagiert nicht wie ein normales Schwein, würde niemals mit ihm quasseln und was immer er tut, sie reagiert aus seiner Sicht wie ein fremdes Wesen. Als ob er mit einem Kaninchen, Hamster oder irgendwas zusammen säße.

 

in der Kuschelrolle

Neee, dat wolln wa ja nu auch niemandem antun ...
*Hintern hin streckt*

 

Ein Züchter könnte ihr natürlich immer seine Jungtiere dazu setzen. Aber, sie hätte dann ständig wechselnde Tiere um sich rum. Blind und taub ist schon schlimm und Hühnchen hat schon genug Schwierigkeiten ihr Gehege überhaupt zu kennen. Wenn da jetzt auch noch ständig popcornende Jungtiere drin rum hüpfen, wird es für sie bestimmt noch stressiger. Noch kritischer jedoch ist, dass Jungtiere zu älteren Tieren gesetzt werden sollten, damit sie die nötige Erziehung erhalten.
Was würden die Jungtiere jedoch von Hühnchen lernen? Sie würden lernen, dass sie erwachsene Tiere nur kurz anstupsen brauchen um sie zum Flüchten zu bringen. Kommen diese Tiere dann später in eine normale Gruppe ...
Ich denke, dass die armen Kleinen dann erstmal Prügel beziehen würden und völlig umlernen müssten.

 

Hühnchen rennt im Kreis

Au ja, denen würde ich ersma beibringen wie man ganz ganz viele Kreise rennt ;-)

 

Man könnte sie mit ein oder zwei weiteren Tieren halten, wenn man ein riesengroßes Gehege hätte.
Mit riesengroß meine ich mindestens ca. 16 qm. Denn die sind nötig, wenn man sicher gehen will, dass Hühnchen bei ihren Fluchten immer in eine sichere Ecke kommt und den anderen aus den Augen ist. Aber, wer ein solch großes Gehege besitzt, der hat da nicht nur 2 Tiere drin. Einen solchen Halter zu finden dürfte wohl unmöglich sein. Außerdem ist nicht gesagt, dass diese Variante dann tatsächlich besser für Hühnchen wäre. Denn es gibt durchaus auch Schweine, die ein Tier wie Hühnchen dann erbarmungslos jagen würden. Zu diesem Gehege müsste man also auch noch die passenden Gesellschaftsschweine finden.

 

In der Hängematte mit hochroten Ohren

Hmm, sowas zu finden ... Na, da stehen meine Chancen ja nu ganz schlecht ...

 

Bis jetzt haben wir auch nur feststellen können, dass Hühnchen zwar hin und wieder die Gesellschaft anderer Schweinchen sucht, denn ihr Instinkt und ihre Neugier sagen ihr wohl nun mal, dass sie ein Gruppentier ist. Aber kaum sind andere Schweinchen in ihrer Nähe macht sie die Hölle durch und ist dankbar, wenn sie wieder allein in "ihrem" Gehege sitzt.
"Ihr" Gehege heißt folgendes:
Derzeit ist an dem Hauptgehege eine Kiste angebaut, welche durch ein Gitter abgetrennt ist. Hühnchen kann die anderen Tiere wohl riechen, wenn sie sich denn zufällig an dem Gitter treffen, aber sie weiß nicht, wie sie in das andere Gehege kommen könnte. So kann es ihr nicht mehr passieren mitten in der großen Gruppe zu landen, und wieder die Flippernummer erleben zu müssen.

Aus der großen Gruppe jedoch sind zwei Schweinchen mutig und neugierig genug aus ihrem Gehege auf den Fußboden zu klettern, um dann bei Hühnchen ins Gehege wieder rein zu klettern.
So hat Hühnchen hin und wieder Kontakt mit ein oder zwei Schweinchen. Das verläuft dann meist relativ ruhig. Selbst wenn sie erschrickt, rennt sie nicht wieder unausweichlich in ein anderes Schwein, sondern fällt bei ihrer Flucht schlimmstenfalls mal aus ihrem Gehege. Den Weg zurück in das Gehege findet sie dann aber mittlerweile auch allein.

Wir hoffen nun, dass ihre Panikanfälle bei solchen Kontakten mit zunehmendem Alter geringer werden. Dass sie sich immer besser in ihrer Umgebung auskennen wird und somit vielleicht sicherer wird. Und dann den anderen Schweinchen vielleicht auch nicht mehr so oft Anlass bietet ihr Erziehungsversuche angedeihen lassen zu müssen.

 

Vermutlich wird Hühnchen zeitlebens ein Einzelschwein bleiben. Denn die Sinne, die sie für eine Kommunikation mit ihresgleichen braucht, hat sie nicht. Und Tiere haben nun mal keinen Verstand um ihr Problem zu verstehen und darauf Rücksicht zu nehmen. Kein Meerschwein wird sie also "nehmen wie sie ist". Man kann nur versuchen einen Weg zu finden ihr soviel Kontakt zu ermöglichen wie sie erträgt, und gleichzeitig die Rückzugsmöglichkeiten, die sie nach jedem Kontakt zur Erholung braucht.

Da sie die anderen Schweinchen auch nur riechen, aber nicht sehen oder hören kann, hat sie bei dieser "Fast-Einzelhaft" aber all das, was sie überhaupt von anderen Schweinchen wahrnehmen kann. Nämlich ihren Geruch. Und das geschützt, ohne gleich Prügel zu beziehen, wenn sie sich mal einem Schwein nähert.

 

Man mag sich jetzt fragen, wie viel Sinn in einem solchen Leben liegt? Ob man dem Tier nicht einen Gefallen täte wenn man es einschläfern ließe?
Tja, das frage ich mich prinzipiell in solchen Fällen auch. Dazu kann ich nur sagen:
Sie ist zwar blind und taub und hat dadurch massive sozialtechnische Probleme, aber sie ist glücklicherweise schmerzfrei und freut sich am Leben.

 

Wer einmal gesehen hat:

Wie Hühnchen plötzlich popcornend ihre Kreise im Gehege zieht.
Wie sie bei Paprikagabe selbige völlig aufgeregt durch das Gehege schleift, wieder verliert und wieder sucht. Sich dann nach geglückter Suche förmlich darauf wirft, als ob sie sie wie ein Raubtier töten müsse, damit sie ihr nicht wieder abhanden kommt. Wie sie immer neugierig den Kopf in alle Richtungen schnüffelnd hebt. Wie sie nach jeder Veränderung im Gehege voller Energie durch Laufen vieler, vieler kleiner und immer grösser werdender Kreise erneut ihre Umgebung erkundet. Und, last but not least, mit welchem Genuss sie ihre heissgeliebten Böller verspeist!

Der sieht, welch' Lebenswillen in ihr steckt und, dass "sie" mit Sicherheit keinen Grund weiß, warum sie nicht weiterleben sollte.