Nachruf
(oder: Weg da, jetzt komm ich!)
Na, ganz so easy war‘s am Anfang nicht. Da saß man mit hochroten Ohren und nach links eingeklappt erst mal sprachlos rum. Sprachlos war sie noch ein paar Monate, aber das war auch alles.
Die Welt wurde auf hohen Beinen mit übergroßen Ohren, die leider ohne Funktion waren, erobert. Was soll‘s auch, sie kannte es nie anders und wusste nicht, dass man auch hörend und sehend durch die Welt gehen kann.
Futter wurde immer gefunden, die Nase tat ihre Arbeit mehr als gut.
Natürlich konnte man Futter nicht einfach fressen, wenn man es fand. Es musste erobert werden, man musste zeigen wer hier das Sagen hatte. So stürzte man sich mit Anlauf drauf, hielt es mit der Pfote fest, damit nicht irgendein anders Wesen auch nur die entfernteste Chance wittern konnte, es sein eigen nennen zu wollen.
- Ich hab es, ich behalte es solange ich Lust habe und mein Appetit anhält.
Man konnte mit dem Futter aber nie wirklich sicher sein, also wechselten die Strategien.
Ihr Häuschen, das war ihr’s, davon war sie überzeugt, bot zuweilen auch eine sichere Unterkunft für Schwein mit Lieblingsfutter. Dazu musste man aber erst in das Paprikastückchen herzhaft und mit voller Kraft beißen.
So, jetzt war es zwischen den Zähnen. War‘s auch fest genug im Mäulchen?
Ein Trick half, dies zu testen. Man schmiss den Kopf mehrmals nach oben – bloß nicht verlieren jetzt! Okay, das Zeug läuft nicht weg und ist MEINS. Jetzt aber rennen und zwar Richtung Häuschen.
Tja, sie war erstaunlich gut darin den Eingang zu treffen – aber Hindernisse waren nicht eingeplant. Schweinchen wurden niedergerannt, wenn sie nicht zur Seite hechteten. War der Häuscheneingang zu klein – macht nichts, dann flog sie eben einmal über das Futter ins Häuschen und versuchte ihr Glück in Sekundenschnelle mit dem Kopf aus dem Häuschen heraus nochmal.
Wollte da etwa noch jemand mit fressen – ha – sie war schneller als jede bissige Schnappschildkröte. MEINS!
Hatte man mal Langeweile und keinen Hunger, nicht mal Appetit auf irgendwas, dann schredderte man Möhren. War die Arbeit getan, wurden noch kunstvoll wunderschöne Köttel obendrauf dekoriert – ein bisschen die Blase leeren, damit auch alles schön eine Einheit wird und das Domizil verlassen auf der Suche nach neuer Abwechslung.
Man konnte zum Beispiel die Rampe runterrutschen, da man ja nie sah wohin man da rutschte, wurden auch oft andere Schweinchen aus dem Tiefschlaf gerissen, weil sie meinte, sie müsse auf ihnen mit Karacho landen. Was soll‘s – ich mach immer was ich grad so will.
Wollte sich da jemand wehren? Kopf hoch, höher ging‘s gar nicht und erst mal Respekt einfordern. Gut, das klappte fast immer.
Es gab Tage, das vertat man sich ein bisschen oder wurde gestört im Schnelllauf. Man kam von der Richtung ab und knallte mit dem Kopf gegen eine Wand. Egal, das gehörte eben zum Leben. Früher, da fiel man auch schon mal aus dem Gehege, weil irgend so ein Schwein einen völlig durcheinander brachte. Auch das war kein Grund zum Jammern, klettert man eben wieder rein – wehe ich erwische den Übeltäter!
Und dann gab es auch noch so Zeiten, da meinte das 2bein seine Macht demonstrieren zu müssen und sie aus dem Gehege HOCHZUHEBEN!
Na, so eine Frechheit. Es wurde gemuckert, gemeckert, getreten und gebissen, gezappelt und vor allem mit dem Kopf in unglaublichen Verrenkungen gegen die Hand gestoßen. Das ging soweit, dass man sie in der Hand fast auf den Rücken legen konnte - man musste ja den Kopfstößen ausweichen.
Nun muss man gar nicht denken, dass sie das irgendwie hinderte weiter zu machen – nö. MIR PASSIERT NICHTS, NIEMALS.
Okay, irgendwie hatte sie ja recht damit, dass wir ihr nie etwas antun würden, im Gegenteil.
Ihre Taubheit hatte ja auch so seine Tücken. Man „hörte“ immer nur das, was man spürte. Da stand z.B. das 2bein morgens auf, setzte sich auf die Bettkante und griff zur Sprudelflasche, drehte geräuschvoll den Deckel auf – „ZsssISCH“.
Alle Schweinchen, wie vom Blitz getroffen, rannten in die nächste sichere Ecke und erstarrten da.
Nein, doch nicht alle, Hühnchen spürte die Vibrationen auf dem Gehegeboden, steckte die Nase in die Luft, stapfte zur Futterstelle und pfiff lauthals nach Futter. Sowas aber auch, wieso kommt da nix?
Niemand nimmt wirklich an, dass die 2beins sich dabei schlappgelacht haben, oder? ;-)
Blindheit? Wen stört das? Sie sprang vom Arm ohne zu wissen wohin, sie kroch in Löcher senkrecht und vorwärts mit dem Kopf nach unten in der sicheren Annahme, dass sie niemals in eine miese Lage geraten könnte. Tat sie auch nicht, alle potentiell gefährlichen Ecken und Kanten wurden von den 2beins verstellt, verstopft, verklebt.
Hautbeißen machte auch riesig Spaß. Hatte das doofe 2bei einen mal auf dem Arm, musste man nur ein Stück freie Haut suchen – sie beherrschte das in aller Perfektion – schob Ärmel und Handtücher zur Seite und biss zu. Prima, das 2bein zuckt – ich bin die Größte!
Die Niedlichste, die Klügste, die Beste, die Größte – Ich, das Hühnchen!
So war sie und so wollten wir sie auch gehen lassen. Niemals hätten wir es über das Herz gebracht, ihr diese Selbstüberzeugung zu nehmen.
Mach‘s gut, großes, stolzes Hühnchen!
Gina und Ulrike im Mai 2009